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Beiträge unserer „Zugvögel“

Praktikum am Malaviya National Institute of Technology (MNIT) in Indien

Indien? Ernsthaft? (1. Teil)

Namaste :)

„Wer geht denn freiwillig für ein halbes Jahr nach Indien?“ wurde ich des Öfteren gefragt.

Eine spannende, fordernde Erfahrung, ja Entwicklungschance kann das werden, dachte ich mir. Ganz erhaben erzählte ich jedem von meinem unkonventionellem Plan. Doch die Zweifel nagten langsam an mir, Tag für Tag den das Abflugdatum näher rückte. Als wir dann ankamen, schlug mich der „Kulturschock“ hart auf den Boden der Tatsachen: ich lebe jetzt in einem lauten, dreckigen, für mich so fremden Land; und das alleine; für ein halbes Jahr.

Doch die Zweifel nagten langsam an mir, Tag für Tag den das Abflugdatum näher rückte. Als wir dann ankamen, schlug mich der „Kulturschock“ hart auf den Boden der Tatsachen: ich lebe jetzt in einem lauten, dreckigen, für mich so fremden Land; und das alleine; für ein halbes Jahr.

Ich wollte nur noch nach Hause.

Ernsthaft, ich habe schon begonnen mich zu informieren, ob ich mein Praxissemester für mein Umwelttechnik-Studium auch in Deutschland beenden könnte – quasi so lange bleiben, bis ich es nicht mehr aushalte; bis mich das Heimweh und die ständige Reizüberflutung zermürbt hat und währenddessen eine Anschlussstelle in Deutschland finden.

Oft hörte ich, es gäbe nur zwei Möglichkeiten: man liebt oder man hasst Indien, Hindustan, das Land der Hindus. Ich stand dazwischen, denn schon im Vorhinein sagte irgendetwas in mir, dass ich dieses Land brauche, um mich weiterzuentwickeln. Und so viel ist sicher, es brachte mich so sehr an meine Grenzen wie kaum etwas zuvor in meinen Leben. Ich bin immer noch dort… Nun, alles begann so:

Unsere Einreise war eine Woche vor Beginn des Praktikums in Mumbai. Stimmung: gut, aufgeregt und übermüdet – wir sind am frühen Morgen von München aus gestartet, was zusammen mit der Anreise und der Anspannung davor quasi keinen Schlaf brachte. Dann warten. Warten auf Natalie und Simon, die nicht so ein schönes, 240 Euro teures rosa Visum in ihrem Reisepass kleben hatten, sondern wegen ihrer Kurzzeit E-Visen lange an einem anderen Schalter anstehen mussten - dachte schon ich hätte sie verloren. Danach wieder warten. Von Mitternacht bis Sonnenaufgang. Wieder ins Flugzeug, das dritte auf unserer Anreise. Stimmung: gestellt positiv- brauche Schlaf. Doch Entspannen ging nicht. Also: warten.

Am Flughafen wurden wir von einem freundlichen, für unsere Englisch-Kenntnisse zu schnell sprechenden und gepaart mit dem indischen Akzent noch schwerer verständlichen Manoj abgeholt. Mit diesem Doktoranden (oder PhD-Studenten) habe ich an unserem ersten Zwischenstopp, dem Flughafen Paris, noch in letzter Minute die Abholdetails geklärt. Endlich angekommen, erstmal warten, auf die beiden anderen, die im „Guesthouse“ eincheckten. Dann brachte mich ein Projekt-Ingenieur des MNIT (Malaviya National Institute of Technology) zu meiner eigentlichen Destination, dem „Aurobindo Hostel“. Die Eingangshalle war trist, kühl, staubig, ja etwas schmuddelig. Im Büro des Aufsehers sollte ich warten, während in fremder Sprache diskutiert wurde.

Ich mag Warten nicht. Das habe ich hier in Indien schnell gemerkt. Und auch, dass man genau dies hier ständig ertragen muss. Zeit spielt hier keine Rolle.

Nach kurzem Eintragen in ein von Hand editiertes Personenverzeichnis durfte ich endlich mein Zimmer sehen: Ein Bett, ein Fenster mit einem Schreibtisch davor. Auf dem Schreibtisch: eine riesige Klimaanlage, rostig und verstaubt; noch ein Bett. Und das alles auf geschätzten neun Quadratmetern.

Hier soll ich jetzt leben? An diesem kühlen, staubigen Ort? Erst mal duschen und dann zurück zu meinen Freunden!

Die Gemeinschaftssanitärräume dieses Männerquartiers waren zu diesem Zeitpunkt der dreckigste Ort in einem öffentlichen Gebäude, den ich je gesehen hatte - Mir war wirklich nach Weinen zu Mute, doch dafür hat es zurückblickend noch ein wenig mehr Zeit in diesem fordernden Land gebraucht. Ich duschte in der Hocke mit einem kalten Strahl aus der Wand, denn mehr gaben die Örtlichkeiten nicht her. Die zehn Minuten Fußweg in der brennenden Vormittagssonne zum Guesthouse sprintete ich innerlich; aber es war zu warm und ich zu ausgelaugt, um tatsächlich zu rennen. Nach einer Umarmung bat ich Simon darum mit ihm von nun an das Zimmer teilen, bei ihnen schlafen zu dürfen und konnte danach endlich ein wenig Ruhe finden.

Scheiß Start.

Nachmittags ging es dann – back to life – auf Entdeckungstour durch Jaipur, der wüstennahen Großstadt im Bundesstaat Rajasthan. Wir sind mit einem Uber-Smartphone-App-Taxi zum Jal-Mahal, einem Wasserschloss gefahren, genau so, wie es uns die Doktoranten des CEE (Centre for Energy and Environment) empfohlen haben (Ein normales Uber-Taxi („cab“) ist etwas teurer als ein freies „Tuk-Tuk“ („auto“), eine Autorikscha. Dies gilt für Inder; Ausländer werden meist preislich abgezogen, selbst wenn sie handeln. App-basierte Unternehmen haben Festpreise und bieten sogar an, eine Person mit dem Motorrad zu chauffieren – super billig und super spaßig. Es ist wirklich ein schönes Schloss, welches man aber nicht betreten darf und daher mehr für ein Foto als für eine Erinnerung taugt. Außer, dass wir das erste Mal Kontakt mit der einfachen Bevölkerung hatten. Hauptsächlich Männer, die vor allem an Selfies mit Natalie interessiert waren (Zur Vorbereitung: hellhäutigen Menschen werden zumeist folgende, [sehr] fragmentierte Fragen, je nach Englisch-Niveau und Freundlichkeit, in genau dieser Reihenfolge gestellt: „[which] country [please]? How long [do you stay] [in India]? [Could we take a] selfie [please]?”, oft ist es ein gerufenes “COUNTRY”. Das fühlt sich schräg an. Du bist kein Mensch, nur Repräsentant für Grenzen. In letzter Zeit antworte ich gerne mal: “I‘m from this planet, where you’re from?“ - das verwirrt die Meisten total)

Amer Fort

Danach sind wir mit einer Autorikscha zum Amer Fort gefahren, mit dem Kopf aus dem offenen Fahrzeug - Adrenalin hebt die Stimmung - eine felsige, grün überwucherte Straße hinauf; vorbei an einem unwirklich scheinenden, bunt bemalten Elefanten. Natürlich haben wir um den Preis gehandelt – der war immer noch doppelt so hoch wie üblich, doch wir hatten noch keine Ahnung. „Lehrgeld“ habe ich hier oft gezahlt, um an Erkenntnissen zu wachsen. An der historischen Stätte ankommen, haben wir uns gegen den Strom der Menschen entschieden (es war ein Sonntag und Ganesha-Fest; die Feier zu Ehren des Elefantengottes – wobei: hier ist eigentlich immer überfüllt) und den zum Fort gegenüberliegenden Berg Stufe für Stufe erklommen. Der Ausblick ist wunderschön, wir kletterten auf die Mauern und genossen den verspielten, freien Augenblick umringt von einigen umherstreifenden Affen; diese Bewohner Jaipurs, der Stadt der Affen, untermalten dieses Erlebnis durch den für mich beängstigenden, doch auch erregend spannenden Erstkontakt. Danach besichtigten wir das Fort und bestaunten einen religiösen Umzug mit dröhnender Musik und Männern auf Motorrädern, deren Mitfahrer tanzten und die sich mit Farbbeuteln bewarfen. Unseren eindrucksvollen Ankunftstag beschlossen wir mit schmackhaftem traditionellem Essen.

Abschied

Zwei Wochen später verließen mich meine Freunde und obwohl ich hier schnell Anschluss, ja Freunde, gefunden habe, war ich noch lange angespannt und von Heimweh geplagt. Mit meinen heimischen Vertrauten habe in dieser Zeit eine Menge erlebt: Ausflug ins Himalaya; dabei zehn Stunden schlaflos im zu kleinen „Sleeper“-Bus auf und ab fliegen, bis die Knie wund waren; Camping im Hippie-Café; Namen, die sich niemand merken konnte; Rückreisezwang wegen Bürokratie-Wahnsinn und Arbeitsverweigerung von Angestellten; extrem zeitintensive FRRO-Registration – einen halben Tag am Computer für ein Formular statt Urlaub in den Bergen; Besichtigung des gar-nicht-mal-so-spannenden und für Ausländer einundzwanzig mal teureren Taj-Mahal; die Indo-German-Summer-Winter-School (dazu findet sich vermutlich ein Erfahrungsbericht in den Tiefen der OTH-Homepage oder dieses Blogs) samt täglichen, vorzüglichen Speisen und unbefangenem Tanzen; Shopping bei unvorstellbaren Preisen und Möglichkeiten; Hitze und endloser Sonnenschein; chaotischer, lauter Verkehr – Straßen überqueren ist echt kniffelig; Armut; bettelnde Kinder; Tempel; und so viel mehr.

Nach dem Abschied meiner lieben Freunde ging die Ankunft in der Sprachbarriere und dem emotionalen Alleinsein erst richtig los. Ich erlebte unfassbar viel – Skurriles, Vielseitiges, Erzürnendes, Beruhigendes, Schmackhaftes, Ekliges, so viel - und lernte dabei eine Menge; über Menschen, die fremde Kultur, Essen mit den Händen, eine andere Welt, die englische Sprache, anaerobe Feststoff-Biogasproduktion, achtlose Vermüllung und über mich. Und ich habe erst einen Teil meines Aufenthalts hinter mir. Doch nun genug der Worte, ich unterbreche meine Arbeit, ganz wie ein echter Inder, denn es Zeit für einen Chai.

„Chalo!“ (Hindi für „lass uns gehen“)

Fortsetzung folgt.

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