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Beiträge unserer „Zugvögel“

Praktikum am MNIT (Teil 1)

Was ist Indien?

Was genau ist Indien?

Ein passendes Adjektiv gibt es nicht. Man nehme folgendes Bild:

Nachdem man das Flugzeug verlassen hat, riecht man etwas Schimmel aus dem Teppichboden der Gangway. Am Schalter zur Einreise wird erstmal vom Zollbeamten eine junge Frau herbefohlen, die dienstbeflissen meinen Pass abschreibt, handschriftlich. Derselbe wird anschließend vom Zollbeamten nochmal eingescannt. Am Gepäckband wird vor der Einreise mal wieder mein Handgepäck durchleuchtet, aber der Beamte schaut nicht mal auf den Bildschirm, da er sich laut mit einem Herrn unterhält, der, wild gestikulierend, Pakete vom Band wuchtet. Vor dem Flughafen trifft einen die Schwüle wie ein Hammer, zusätzlich sprechen mich drei Taxifahrer gleichzeitig an. Zwei Hunde streunen vorbei. Der eine davon legt sich gemütlich vor ein Taxi, das wiederum etwas mehr hupt als sonst. Den Hund stört das nicht.

 

Über dem Netz, das gegen Tauben unter das Dachgebälk gespannt ist, haben sich reichlich davon breit gemacht, zwei davon paaren sich, gemütlich darin hängend. Irgendwer in der Ferne spielt schief Flöte. Aus der provisorischen Tee- und Kaffeebar ertönt irgendwelche Schnulz-Pop-Musik. Völlig gelangweilt sitzt ein Polizist an einem Infostand, auf einem Schild wird auch auf Englisch gebeten, ihn nicht anzusprechen oder Auskünfte zu erfragen. Eine GIGANTISCHE Werbetafel blinkt in den buntesten Farben, danach folgen wohl Nachrichten, in denen eine junge Frau am Boden liegend von einer Gruppe Menschen getreten wird. Ist das Indien?

Nein. Indien ist viel mehr.

Alleine die Taxifahrt zum Malaviya National Institute of Technology hat an manchen Ecken mehr von Achterbahn als mancher Freizeitpark. Vor allem, als der Fahrer, am Handy telefonierend, mal zur Abkürzung ein Stück auf der Gegenfahrbahn über die Stadtautobahn fährt. Natürlich hat jemand meine, übertrieben höflich geschriebene, englische Email missverstanden. Anstatt dem gehobenen Guesthouse ist ein Hostelzimmer auf mich reserviert.

Langsam spüre ich die Nacht am Flughafen Muskat, den fehlenden Schlaf. Ich wuchte meine Koffer aus dem Taxi, soll kurz vor dem Schreibtisch eines Mannes mit beeindruckendem Schnurrbart warten und bekomme dann einen Schlüssel in die Hand gedrückt. Ich gehe einen Gang entlang, öffne ein Vorhängeschloss und schiebe einen Riegel zur Seite, der einer JVA gut stehen würde. Die kahlen Wände sind feucht. Und geputzt ist auch nicht. Ist das also Indien? Nein.

"You want to change to guesthouse? No Problem. I have to make a call!" bietet sich da Sunil an, der mich freundlicherweise am Flughafen abgeholt hat. Nicht mal die sieben Stunden Verspätung meines Fluges, die mit Sicherheit seinen ganzen Tag durcheinander gebracht haben, bringen ihn aus der Ruhe oder beeinträchtigen seine Stimmung.

"The manager isn't there on the weekend. Wait a moment!"

Sunil ist nicht zu beeindrucken. Das nächste Telefonat.

"Just sit down, don't worry!"

Wirke ich so nervös? Vermutlich schon. Ich zwinge mir ein Lächeln ab.

"Come with me! You change to guesthouse!"

Was, so einfach?

"It's about 1,5 km to walk. You can manage?"

Ist das ein Scherz? Ich bin so erleichtert, ich würd's rennen.

Mittlerweile dämmert es, mit jedem Schritt wird mir leichter ums Herz.

Sunil plaudert drauf los, erzählt, erklärt.

Das Hostel da drüben, ganz neu, das effizienteste Gebäude des Campus. Siehst du die Solarkollektoren?

Wir kommen an einem Kreisel vorbei, der Wachmann sieht uns nach. Lächelt er uns zu?

Schließlich, das Guesthouse.

"Wait a moment! I get the keys!", so bleib ich im Eingangsbereich zurück. Ich schau mich um, sehe ein keckes Streifenhörnchen aus dem Mülleimer klettern.

Da kommt Sunil zurück, sein Lächeln ist ansteckend.

"Follow me, number 6!"

Gemeinsam suchen wir die richtige Tür, es ist die erste zur Rechten. Wieder ein massiver Riegel, scheint hier einfach üblich zu sein. Das Schloss klickt, mit Kraft schiebe ich den Riegel zur Seite. Der Raum ist sauber, großzügig. Es gibt eine Tür zum Bad, und, darüber habe ich mich selten so gefreut, eine Klimaanlage. Ein frisches Handtuch liegt gefaltet am Fußende, daneben eine Seife, in Papier verpackt.

"It's ok? Better?"

Oh ja, danke! Dass der Fernseher nicht geht? Dass die Kacheln an den Wänden im Bad nicht sauber sind? Geschenkt!

"Want to change to another room?"

Nein, ich bin absolut zufrieden und glücklich.

Das könnte schon eher Indien sein.

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